Einleitung
Warum das Wegwerfen so schwierig ist, und warum dieses Dokument ein Lichtblick in einer vollgestopften Wohnung ist.
Die Wegwerf-Philosophie
Die peinliche Befragung
Der Autor dieses Dokuments |
Auch wenn sich dieses Dokument hauptsächlich auf Gegenstände in unserer Wohnung bezieht, lässt es sich auch auf andere, gar nicht-materielle Bereiche ausdehnen wie Überflüssige Computer-Dateien, nutzlose Beziehungen, zeitraubende Hobbies oder verzweifelte Vorhaben.
Wenn man nicht sicher ist, ob man etwas heute wegschmeißen soll oder nicht, dann sollte man an diesem Objekt ein Schildchen befestigen (oder in eine Tüte mit einem Zettel stecken) auf dem steht: "Dieses ist am soundsovielten Müll", wobei der soundsovielten ein Datum ist, an dem dieses Objekt noch keinen antiquarischen Wert hat.
Man kann diese Forderung abschwächen, indem man auf den Zettel schreibt: "Am soundsovielten überlege ich mir nochmal, ob ich das wegschmeiße."
Das eröffnet eine andere Möglichkeit, die Begrenzung der maximalen Lagerzeit für unbenutzte Dinge. Wenn ich damals auch meinen Zettel schrieb: "Das hier habe ich zum letzten Mal am dem und dem Tag benutzt.", gibt uns dieses Objekt eine Vorstellung davon, wie lange es schon unbenutzt bei uns Platz wegnimmt. Wenn ich dazu jetzt noch so konsequent bin zu sagen: "Zehn Jahre alte Röcke trage ich eigentlich grundsätzlich nicht.", dann ist der Weg für ein gelangweiltes Kleiderstück frei zum Abenteuer Altkleidersammlung.
Als professioneller Haus-Lean-Production-Wächter können Sie sogar eine Statistik erstellen, wie lange etwas unbenutzt herumgelegen hat, ohne benutzt zu werden, und wie häufig Sie es nach dem Wegschmeißen dann doch noch hätten brauchen können. Berechnen Sie dann mit Hilfe von Mittelwert und Standardabweichung die Lagerkosten (wie viel Miete sie pro Quadratmeter zahlen, wissen Sie ja) und ziehen davon den zins- und inflationsbereinigten Kaufpreis von unnötigerweise weggeschmissenen Doch-noch-gebrauchtem ab. Ist das Resultat negativ, war Ihr Vorgehen positiv, weil dann die Einkäufe weniger Geld gekostet haben, als der Lagerpreis.
Obwohl Erziehungsurlaub für promovierte Hausbetriebswirtschaftsexperten sicherlich auch ohne Kindererziehung sehr aufregend sein kann, bleiben wir als Laien vielleicht doch lieber bei einem einfachen Beispiel ohne Rechnung.
Nehmen wir an, Sie haben ein Hose. Die hängt im Kleiderschrank, weil Sie sie nie benutzen. (Sachen, die wir benutzen schmeißen wir natürlich nicht weg.) Diese Hose kostet Sie:
Einschränken muss natürlich gesagt werden, dass die aufgeführten Kosten nicht umbedingt relevante Kosten sein müssen. Sie werden sich für eine Hose mehr oder weniger nicht einen anderen Kleiderschrank kaufen, allerdings geht es um Prinzip: Falls Sie 30 % Ihrer Kleidung niemals anziehen, brauchen Sie 30 % mehr Platz an Kleiderschrank. Das kann schon zu einem Kauf von einem Kleiderschrank führen, den Sie eigentlich nur zum Müll aufbewahren haben.
Auf der anderen Seite stehen die Nutzen der nicht benutzten Hose:
Ähm, ja eigentlich keiner, da Sie sie ja nicht benutzen. Hypothetisch könnte es eine Wahrscheinlichkeit geben, dass
Auch hier muss man wieder sehen, welcher Nutzen relevant ist: Brennt Ihr Haus ab, sind alle Hosen verbrannt, und das Aufheben der alten hat sich nicht gelohnt, sondern nur das Feuer genährt. Und für eine Faschingsverkleidung fällt Ihnen ja vielleicht noch etwas anderes ein. Schließlich würde zu einer alten Hose auch ein altes Hemd passen, was Sie nicht haben, und DAS schaffen Sie ja auch aufzutreiben, wenn es sein muss, oder Sie verkleiden sich mangels Hose mit einem Bettlaken als afghanische Frau oder Gespenst - je nach Interpretation.
Zwar sind die Kosten für eine unnötig aufgehobene Hose nicht hoch, aber der Nutzen ist noch geringer. Wenn wir nun bedenken, wie viele Dinge wir aufheben, die wir eigentlich nicht brauchen, dann sind die Gesamtkosten schon erheblich. Ein ganzer Kleiderschrank voller Fummel kostet sie 1,5 Quadratmeter Miete pro Monat plus den Kleiderschrank.
Im ungünstigsten Fall brauchen Sie die Hose doch. Gerade die Hose! Jetzt haben Sie sie aber schon brav weggeschmissen und müssen
Also, dahin geht die Wegwerf-Philosophie. Wegschmeißen wagen, einen ärgerlichen Nachkauf riskieren, aber auf Dauer sparen.
Ein hübscher Kassenzettel ist in zwei Monaten vielleicht nur noch langweilig, aber wenn man ihn erst zwanzig Jahre später wiederfindet, hebt man ihn auf, weil er alt ist, egal wie langweilig er ist.
Nicht nur, dass man sich so zwanzig Jahre lang von etwas Platz hat wegnehmen lassen, was man schon vor 19 Jahren und zehn Monaten weggeworfen hätte, nein - schlimmer noch, irgendwann wird nach unserem Tod einer unserer Enkel andachtsvoll einen 60 Jahre alten Kassenzettel finden - und aufheben. Nach weiteren 60 Jahren werden seine Enkel, also Ihre Ur-ur-enkel, den nunmehr 120 Jahre alten Kassenzettel noch vorsichtiger aufbewahren, und zwar neben den dann 60 Jahren alten Kassenzetteln ihres Enkels und den 20 Jahre alten ihrer Ur-ur-enkel.
Da die Größe unseres Planeten begrenzt ist, wird nach spaetestens 300 Generationen die gesamte Menschheit obdachlos sein, weil die Häuser voller Kassenzettel sind, die sich aus Rücksicht ihrer antiquarischen Wertes keiner wegzuschmeißen traut. Und gar nicht zu reden von anderen Objekten größerer Art, die Sie und Ihre Nachfahren nicht rechtzeitig weggeschmissen haben.
Denken Sie an Ihre Kinder und Kindeskinder und schmeißen Sie weg, was Sie haben.
Dieser Abschnitt enthält einen Fragebogen über geliebte, aber unbenutzte Gegenstände. Der Fragebogen enthält keine abschließende Bewertung, sondern dient einzig und allein dazu, sich den Nutzen von aufgehobenen Müll bewußt zu machen. Nicht alle Fragen sind nützlich für jede Art von Müll, aber es werden immer noch genügend übrig bleiben um zu entscheiden: Weg damit oder aufheben?
Der Autor dieses Dokuments ist Martin König. Seine Motivation für dieses Werk könnte perfekt folgende sein: Als Student in der Nachkriegszeit war er um jedes bißchen froh, das er irgendwie ergattern konnte. Sparsamkeit und Vorratshaltung waren Eigenschaften, die sein ganzes Leben kennzeichneten. Nach Jahrzehnten gut bezahlter Arbeit zog er als Rentner von seiner Dienst-Villa in eine Dreizimmer-Wohnung um. Als alle drei Zimmer bis unter die Decke voll waren, füllte er die Küche auf, und danach das Bad. Er bekam gerade noch die Wohungstür auf, als ihm einfiel, dass er sein Bett noch gar nicht in der neuen Wohnung aufgestellt hatte. Und wohin die Sachen seiner werten Gattin?
Durch Zufall fiel ein Meteorit in das Gebäude der neuen Wohnung und zerstörte seinen ganzen Besitz. Seine Ehefrau verließ ihn darauf hin und ihm blieb nichts als sein Bett, dass er sich in eine andere Wohnung mitnahm, die er statt der Zerstörten bezog. Zunächst war er sehr traurig über den Verlust seiner Sachen – und auch über den seiner Ehefrau – doch bald erkannte er seinen neuen Reichtum: Platz! Lebensraum! Putzen leicht gemacht!
Es sprach sich recht schnell herum, dass er ausser seinem mit einem Bett bestückten Schlafzimmer nur leere Räume in seiner Wohung hatte. Anfänglich belächelt wurden die Vorteile seiner Wohnung bald von allen geschätzt. In den leeren Räumen trainierte der örtliche Hallenfußballclub, der Tanzverein, die Schreitherapiegruppe und manchmal brachte der Zivildienstleistende von Essen auf Rädern seine Freunde mit zur Sau-raus-lassen-Party. So gewann er viele Freunde, denen er ohne Probleme seine Wohung überlassen konnte, denn was konnten sie schon klauen?
So starb er als glücklicher und angesehener Mann, der so viele Freunde wie sonst keiner hatte. Aber auch seine Freunde waren glücklich. Denn sie erbten sein Geld, von dem er seit Jahrzehnten nichts mehr ausgegeben hatte. Für was auch? Er wurde ja immer eingeladen. Nach seiner zahlreich besuchten Beerdigung wurde seine Wohnung von der Stadt gekauft und als Begegnungsstätte fortgeführt, die bis heute seinen Namen trägt.
Seiner treulosen Ehefrau fiel beim Abstauben ein völlig überladenes Bücherregal entgegen, von dem sie eingequetscht wurde. Nicht in der Lage, das Telefon zu erreichen um Hilfe zu holen, verdurstete sie qualvoll. Da sie die Miete mit Dauerauftrag von einem gut gefüllten Konto zahlt, vermisst sie bis heute nicht einmal ihr Vermieter. Erst Archäologen werden wohl die Tote finden – und dann wahrscheinlich bei sich aufheben.
Nun, das ist eine schöne Geschichte, und es könnte die Geschichte des Autors dieses Werkes sein. Ist sie aber nicht! Tatsächlich hat er weder in der Nachkriegszeit gelebt, noch ist er armer Student, und schon gar kein reicher Rentner. Und wem fällt schon ein Meteorit aufs Haus? Die wirkliche Geschichte ist eine ganz andere.